Heute darf ich euch einen meiner Helden vorstellen: Anastasiya Koshcheeva. Sie ist Designerin und Gründerin von Moya Birch Bark, ein Design-Label, das Produkte aus dem Naturmaterial Birkenrinde herstellt. Ich durfte sie in ihrem Berliner Atelier interviewen:
Diana:
Wir sind jetzt hier in einem Atelier, umgeben von Regalen, wo schon etablierte Produkte zu sehen sind, aber auch ein paar Prototypen gerade in der Entwicklung sind. Man findet hier Vorratsdosen, Gebrauchsgegenstände, wunderschöne Leuchten und Sitzmöbel. Anastasiya, wie bist du dazu gekommen, mit diesem tollen Naturmaterial zu arbeiten?
Anastasiya:
Auslöser waren zwei Vorratsdosen, die meine Eltern mir mitgegeben haben, als ich nach Deutschland gezogen bin, um Design zu studieren. In der einen waren Pinienkerne und in der anderen Kekse drin. Die sind in meiner damaligen WG in der letzten Schrankecke gelandet, weil diese Dosen nicht unbedingt meinen ästhetischen Vorstellungen entsprochen haben. Und diese Dosen inklusive Inhalt habe ich dann ein paar Jahre später wieder entdeckt und war total erstaunt, dass der Inhalt immer noch genießbar war. Ich bin dadurch wieder auf Birkenrinde gestoßen – ich sage wieder, weil ich mit diesem Material aufgewachsen bin und die Rinde und das Handwerk schon seit meiner Kindheit aus Sibirien kenne. Durch diese Entdeckung von den Eigenschaften, die für mich selbstverständlich waren, bin ich wieder darauf aufmerksam geworden. Dazu kam mein Design-Hintergrund, weil ich Produktdesign studiert habe. Da hatte ich einen AHA-Moment und ich habe mich mehr in die Materie vertieft und wollte mehr erfahren und das Material auch haptisch und praktisch kennenlernen. Und so ging diese Reise los.
Diana:
Du bist also aus Sibirien zum Studieren nach Deutschland gekommen und hast dir alle Fähigkeiten angeeignet, um Design zu entwerfen und bist dann aber eigentlich wieder zurück zu deinen Wurzeln?
Anastasiya:
Ja, und ich finde es auch ganz schön, wenn man so einen kleinen Abstand gewinnen kann zu dem, was man schon immer kennt und das dann aus einer neuen Perspektive betrachten kann.
Diana:
Also ich bin ja auch immer davon fasziniert, wenn Leute wieder zurück zu ihren Wurzeln kehren. Du hast ja jetzt schon ein bisschen von den Eigenschaften erzählt: Die Lebensmittel, die in dieser Dose drin waren, die sind frisch geblieben. Ich kenne das aus der Kosmetik: Birke wirkt antiseptisch. Aber wie muss man sich das Material vorstellen? Ist es eher was Textiles oder ist das eher härter?
Anastasiya:
Ich denke, dass man es ganz gut beschreiben kann als eine Mischung aus Leder und Furnier. Es fühlt sich wie Wildleder an, sehr weich und samtartig. Die Rinde ist sehr flexibel, lässt sich vernähen und knicken. Von der Haptik ist es ähnlich wie Leder, verhält sich aber auf der anderen Seite auch ein bisschen wie Furnier. Es ist wirklich kein Holz. Wir fällen auch die Bäume nicht, sondern ernten lediglich die Rinde, und zwar nur die äußere Rinde, also die Borke. Und die anderen Schichten, die für den Baum sehr wichtig sind, die bleiben am Baum. Deswegen kann sich eine neue Borke bilden, also eine neue Schutzschicht. Die Birken geben diese Schutzschicht auch selbst ab. Manchmal sieht man das im Frühjahr, dass die Rinde aufplatzt.
Den Birkensaft kann man auch erwerben. Der ist sehr gesund und wird auch in der Kosmetikbranche eingesetzt. Aber die Rinde ist ein sehr faszinierendes Material und vielleicht kennst du es auch aus dem Wald, dass oft das Birkenholz schon morsch ist bei Stämmen, die im Wald rumliegen, aber die Rinde ist ganz.
Das sagt sehr viel über die Langlebigkeit des Materials aus. Und die Rinde an sich hat sehr viele Inhaltsstoffe. Diese Inhaltsstoffe und deren Zusammenspiel sorgen dafür, dass das Material flexibel ist und so bleibt, ohne dass es gepflegt werden muss. Außerdem hat es, wie du schon sagtest, antiseptische Eigenschaften und schafft eine Art Frischhalteklima in z.B. Dosen oder Brotkästen.
Diana:
Ihr schält die Borke vom Baum und was passiert damit dann noch? Muss das geschliffen werden? Wird das gewaschen oder wie muss man sich das vorstellen?
Anastasiya:
Die Borke kann man einmal im Jahr vom Baum ernten. Wir empfehlen oder raten explizit davon ab, das selber auszuprobieren, weil es bei uns nur Handwerker mit viel Erfahrung tun dürfen.
Diana:
Um den Baum nicht zu verletzen?
Anastasiya:
Genau, weil man eben diesen Schichtaufbau kennen muss und ganz genau wissen muss, welche Schicht man abnimmt, obwohl die Natur ja so schlau ist, dass wirklich auch nur diese Schicht abgeht im Frühjahr. In der Zeit schießen auch die Säfte hoch. Deswegen ist die Rinde, wenn man sie abnimmt, erst mal nass, also leicht feucht.
Die wird dann in der Sonne getrocknet und zu Bündeln zusammengebunden, damit sie flach gepresst gelagert werden können. Denn sie rollen sich zusammen, wenn man sie nicht richtig lagert, und zwar in die entgegengesetzte Richtung. Es ist ein Material, das nicht immer das tut, was man möchte. So ist das mit den Naturmaterialien. Deswegen braucht man auf jeden Fall auch viel Fingerspitzengefühl und viel handwerkliche Erfahrung. Wenn es dann soweit ist, wird die Rinde gespalten. Das beantwortet die Frage, warum unsere Produkte nicht weiß sind. Sie sind eher hell, beige, hautfarben bis braun oder wie lila, rosa oder violett. Diese Oberfläche verbirgt sich unter den äußeren Schichten. Durch Spalten entfernen wir die äußeren Schichten, die Flechten und das Moos.
Diana:
Das ist echt total spannend, weil das ja ein Material ist, was einem Leder gleichkommt, aber dann trotzdem unter so wenig Einsatz von Wasser und Chemikalien weiterverwendet werden kann. Leder ist auch ein sehr altes Produkt, was man schon sehr lange kennt und Verwendung findet. Aber bis es erstmal überhaupt zu diesem Material kommt, hat schon so viel Umweltverschmutzung stattgefunden. Das weiß nicht jeder. Viele denken Leder ist ein tolles Material, aber vom Ursprungsmaterial bis zum Produkt durchläuft das eine lange Kette und das ist bei Birke gar nicht so.
Die Naturvölker wussten schon, was gut ist, und haben diese Materialien eingesetzt.
Anastasiya:
Die Produkte werden gereinigt. Aber es ist auf jeden Fall kein großer Wasserverbrauch nötig. Und es sind gar keine Beschichtungen und keine Chemikalien drin, es muss nicht gegerbt werden. Das ist wirklich von Natur aus so wie es ist und das finde ich auch immer wieder faszinierend. Nicht umsonst sagt man ja, dass die Naturvölker schon wussten, was gut ist, und diese Materialien auch eingesetzt haben. Es ist sehr spannend, dass jetzt dieser Schritt rückwärts gemacht wird und auf die Naturmaterialien zurückgegriffen wird, die schon immer da waren und da sind.
Klar, es ist keine Massenproduktion. Die Preise sind ja auch höher, dadurch dass die Produkte handgefertigt, nicht maschinell gefertigt werden oder nur zum Teil maschinell verarbeitet werden, aber dadurch erhalten sie auch einen ganz anderen Wert und eine Wertschätzung im Alltag. Es sind eben keine Wegwerfartikel. Die Rinde zeichnet sich auch, wie ich schon sagte, durch eine enorme Langlebigkeit aus. Ich habe hier eine geflochtene Tasche oder ein Etui, das schon 30 Jahre alt ist. Nach 30 Jahren trocknen sie schon ein bisschen aus, aber trotzdem hält sie die Form und ist immer noch schön, bekommt dazu einen schönen Patina Charakter.
Diana:
Und das heißt, die Birkenrinde wird dann auch gar nicht imprägniert oder geölt? Da wird gar nichts mehr gemacht?
Anastasiya:
Die Rinde hat auch eine sehr dichte Oberflächenstruktur und wirkt wasserabweisend. Dadurch kann sie die Beschichtungen gar nicht so einfach aufnehmen. Es gibt natürlich Möglichkeiten, sie einzufärben, aber das tun wir nicht. Wir verwenden sie so natürlich wie möglich ohne jegliche Zusatzstoffe und arbeiten mit der natürlichen Oberfläche, die wunderschön ist. Man sagt ja auch, dass die Rinde eigentlich die gleiche Rolle früher hatte wie die Kunststoffe heute. Daraus wurde fast alles im Alltag gefertigt: Kleidung, Schuhe, Taschen, Rucksäcke. Daraus wurden Kanus gebaut, weil es eben wasserabweisende Eigenschaften hat und sehr leicht ist. Als Isolierschicht wurde und wird es tatsächlich immer noch in Schweden eingesetzt. Das Handwerk war nicht nur in Sibirien oder Russland verbreitet, sondern auch in den skandinavischen Ländern, in Kanada, überall, wo es eben viele Birken gab oder gibt, die sich auch sehr schnell erneuern bzw. sehr wenig Ansprüche an den Boden stellen. Deswegen werden sie auch als Pionier-Bäume oder eine Pionier-Baumart bezeichnet.
Diana:
Sie sind auch schnell wachsend. Ich mag Birke total gerne. Wir haben auch unser Bett aus Birkenholz gebaut. Hat das was mit der Kälte zu tun, dass sie dadurch so resistent werden?
Anastasiya:
Ja, auf jeden Fall. Das Birkenholz ist dadurch härter und die Rinde ist dicker.
Es gibt in Deutschland auch Birken, natürlich, aber nicht in den Mengen. Und weltweit gibt es auch sehr viele Birkenarten, wenn ich mich nicht täusche, fast 60. Und natürlich hängt die Qualität der Rinde mit der Art der Birke, mit dem Klima und der Bodenbeschaffenheit zusammen. Das sind sehr viele Faktoren, die da hineinspielen. Und in Deutschland sieht man öfter die Papier-Birke, vor allem in Städten, die sich auch schon von alleine abschält. Und da ist die Rinde viel dünner.
Diana:
Ich finde es so schön, dass es ein natürliches Material und ein schnell nachwachsender Rohstoff ist und man da immer wieder drauf zugreifen kann. Du hast aber nicht nur darauf zurückgegriffen, weil du das Material so toll findest, sondern dir war es auch wichtig, dass du deiner Heimat was zurückgibst. Ich habe gesehen, dass du nicht nur die Birke dort erntest, um sie hierher zu bringen, sondern du beschäftigst auch die Menschen dort und bildest auch aus. Magst du dazu noch ein bisschen was zu erzählen?
Anastasiya:
Ja, gerne. Das war mir sehr wichtig, dass die Wertschöpfung auch wirklich dort bleibt, wo sie herkommt. Da das Handwerk auch langsam ausstirbt. Das Problem hat man in vielen Handwerken, leider. Und das war der Auslöser, warum ich gesagt habe, ich möchte, dass das Wissen auch weitergegeben wird und vor allem auch an die jüngere Generation. Natürlich nicht nur, aber es ist wichtig, dass die nächste Generation sich dafür begeistern lässt. Und das funktioniert super. Wir haben auch zwei Produktionsstätten, wo wir Handwerker ausbilden und wo die Produkte hergestellt werden, um eben dieses Wissen und die Traditionen zu bewahren.
Diana:
Du bist also wieder zurückgegangen und hast deine Mama gefragt, wie das so läuft? Wo finde ich die Leute, die da Lust drauf haben? War das schwer oder konntest du da schnell jemanden für begeistern?
Anastasiya:
Das war tatsächlich nicht so einfach, weil viele Handwerker gar nicht die Notwendigkeit erkennen, was dagegen zu machen. Das ist für sie auch mit einem Risiko verbunden, mit einem neuen Design zu arbeiten. Aber das ist genau das, was spannend ist: diese Mischung aus Altem und Neuem, modernes Design und altes Handwerk. Wie verbindet man das? Wie schafft man was Neues, was auch zeitgemäß ist? Was in eine moderne Einrichtung reinpasst und nicht nur auf Jahrmärkten und in Souvenirshops verkauft wird, sondern auch wirklich ein Produkt ist, das auch im Alltag Gebrauch findet. Das ist mir sehr wichtig. Aber Handwerker zu finden und sie dafür zu begeistern, war tatsächlich nicht so einfach. Weil es zum einen nicht so viele Handwerker gibt. Und die, die es noch gibt, die das Handwerk beherrschen, sind oft nicht offen für was Neues. Es war ein langer Prozess und 2016 habe ich die erste Produktionsstätte selbst aufgebaut, wo alle, die sich für Birkenrinde begeistern, dieses Handwerk erlernen können und auch für Moya tätig sein können.
Diana:
Danke, dass du dabei so hartnäckig geblieben bist. Das sieht ja heute bestimmt auch anders aus. Du hast viele Mitarbeiter, ihr seid stetig am Wachsen. Auch in Sibirien. Das ist echt total toll. Es freut mich sehr, dass das so viel Anklang gefunden hat. Ich finde, das ist echt ein wunderschönes Material und es riecht auch so gut. Jedes Stück ist ein Unikat. Das stell ich mir wirklich sehr schön vor, auch in Wohnräumen. Du bist auch auf vielen Messen vertreten. Ich habe sogar gesehen, dass du schon einige Preise bekommen hast?
Anastasiya:
Ja, das stimmt. Wir sind auch immer auf der Zeughausmesse in Berlin vertreten und gerade haben wir auch einen Pop Up Store in Würzburg. Wir machen immer wieder Veranstaltungen bei uns im Atelier in Berlin, wo man das Material in echt anschauen und anfassen kann.
Diana
Also alle Berliner, Ohren aufhalten! Es wird wieder eine Atelier-Besichtigung geben. Und wer sich das nicht vor Ort angucken kann, der guckt auf eure Website. Da kann man das auch direkt beziehen.
Ich danke dir vielmals, Anastasiya. Das war total spannend, hier auch ein bisschen zu stöbern und zu gucken, was noch alles in Entwicklung ist. Ich wünsche dir noch ganz viel Erfolg und dass euch noch viele tolle Ideen einfallen, was ihr mit dem Material machen könnt und herzlichen Dank, dass ich kommen durfte.
Anastasiya:
Danke für deinen Besuch!
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